Erweiterung als Chance
Für die glücklich Liebenden ist Raum auch in der kleinsten Hütte, befand eins Friedrich Schiller. Recht hat er, auch wenn der Dichter wohl nicht den vorhandenen, aber schlecht genutzten Raum meinte, sondern das private Glück, für das es wenig braucht. Platz schaffen, wo er als stille Reserve vorhanden ist, das ist in vielen Gebäuden möglich, sei es, dass Räume ausgebaut und neuen Nutzungen zugeführt werden, oder dass ein Annex das Bestehende erweitert.
Vor allem unter den Dächern oder im Garten bestehen solche Möglichkeiten. Wenn sie genutzt werden, sind sie unter dem Titel «innere Verdichtung» nicht nur für Hausbesitzer, sondern auch für Politik, Raumplandung und Immobilienwirtschaft von Interesse.
Während landauf, landab viel Geld in den Wohnungsbau fliesse, die Neubarproduktion weiter auf Hochtouren läuft, steigen mit dem wachsenden Angebot die Risiken, etwa in Bezug auf den Leerstand. Doch parallel dazu gibt es, angetrieben vom Wunsch nach Platz für Neues, eine Erweiterung des Bestands, die sich im Kleinen und Verborgenen abspielt. Das können die Aufstockung eines Mehrfamilienhauses sein oder der Ausbau von Untergeschoss und Estrich in einer alten Villa, aber auch die Verglasung der Terrasse vor dem Reihenhaus, mit der ein Wintergarten entsteht.
«Gut geplante und organisierte Verdichtungsprojekte bieten aus gesellschaftlicher Sicht grosse Chance», sagt Renate Amstutz. Die Direktorin des Schweizerischen Städteverbands hat die Studie «Siedlungsentwicklung nach innen» in Auftrag gegeben, in der die treibende Motivation und die Bremsklötze für die Raumerweiterung im städtischen Umfeld identifiziert werden.
Nicht überall ist die intensivere Nutzung von Bauflächen willkommen. Manche Anwohner fürchten um den Verlust von Quartiergefühl und Atemluft, von Sonnenlicht und Aussicht. Die Baubehörden müssen im Bewilligungsprozess die zum Teil widersprüchlichen Ziele aller möglichen rechtlichen Vorgaben umsetzen, was den Eigentümern oft als hohe Hürde erscheint. Eine, die zudem das jeweilige Projekt verteuert. Doch jede Erweiterung wertet ein Gebäude auf, manchmal so stark, dass sich so auch noch eine Sanierung des bestehenden Teils finanzieren lässt. Dabei stehen zahlreiche Möglichkeiten offen. Die einfachste ist: verbliebene Baulücken überbauen. Aufwendiger dagegen ist, die bisher auf dem Grundstück zulässigen, aber bisher nicht ausgenutzten Bauvolumen teilweise oder ganz auszuschöpfen, und zwar mittels Anbaus, Umbau, Aufstockung, Ergänzung oder Abbruch mit Ersatzneubau.
Warum braucht es mehr Platz, wo uns doch die Verdichtung zusammenrücken lassen soll? Einer der Treiber der Siedlungsentwicklung nach innen ist der individuelle Flächenbedarf, der mit zunehmendem Wohlstand wächst und heute in der Schweiz beim durchschnittlich 45.4m2 pro Person liegt.
Im Gegensatz zum Arbeitsumfeld, wo am Platz pro Kopf gespart wird, lässt sich punkto Wohnens noch keine Trendwende feststellen. Immerhin schwächt sich die langjährige Entwicklung zu immer mehr Fläche wieder ab, auch, weil die Wohnungskosten zuletzt stark gestiegen sind, und zwar stärker als die allgemeinen Lebenshaltungskosten.
Wer da mit überschaubarem Aufwand mehr Platz schaffen kann – und vielleicht gleichzeitig auch die Fenster auswechseln, die Aussenhaut dämmen der Solarmodule auf dem Dach und an den Fassaden montieren lässt -, profitiert gleich mehrfach.
Quelle: NZZ am Sonntag, https://nzzas.nzz.ch/